Ein Schild auf einer Pressekonferenz in den USA warnt: „TikTok is designed to promote excessive, compulsive, and addictive use in children“ – TikTok sei darauf ausgelegt, exzessive und süchtig machende Nutzung bei Kindern zu fördern. Diese provokante Aussage beleuchtet die Kehrseite der vermeintlich harmlosen Tanz- und Spaß-App. TikTok hat weltweit über eine Milliarde Nutzer, doch der TikTok-Algorithmus gerät immer wieder in die Kritik. Inzwischen kursieren auf der Plattform nicht nur harmlose Tanzvideos, sondern auch problematische Inhalte wie Selbstverletzung, Suizidgedanken und extremistische Propaganda. Was macht den TikTok Algorithmus so umstritten? Kritiker warnen, dass der mächtige Empfehlungs-Algorithmus Nutzer:innen in gefährliche Echokammern ziehen und sie stundenlang in die App fesseln kann. In diesem Artikel erläutern wir, wie der TikTok-Algorithmus funktioniert, wo die Gefahren liegen – von Radikalisierung bis hin zu mentaler Gesundheit – und wie du selbst Einfluss auf deinen For You Feed nehmen kannst.
TikTok – harmloser Spaß oder gefährlicher Algorithmus?
TikTok hat sich weltweit als beliebte App etabliert, die vor allem junge Menschen anzieht. Anfangs scheint die Plattform harmlos: Kurzvideos zu Tanz-Challenges, Comedy und Trends dominieren das Nutzererlebnis. Doch hinter diesem Content steckt mehr als nur Unterhaltung. Der TikTok-Algorithmus entscheidet darüber, welche Inhalte dir im Für dich-Feed angezeigt werden. Kritiker schlagen Alarm: Immer wieder sorgen gefährliche Videos für Schlagzeilen, die durch den Algorithmus verstärkt werden. TikTok ist dabei nicht nur eine Plattform für virale Tanzvideos, sondern auch ein Ort, an dem problematische Themen, wie radikale politische Ansichten und gefährliche Selbsthilfe-Tipps, verbreitet werden. In den USA verklagten 2024 mehrere
Bundesstaaten TikTok, weil der Algorithmus die App gezielt so gestaltet habe, dass sie Kinder süchtig mache und deren Wohlbefinden gefährde. Der Algorithmus stellt den Nutzern permanent neue, engagierte Inhalte vor, die eine sofortige emotionale Reaktion hervorrufen, was die Nutzer:innen in der App hält – ein echter Dopamin-Kick. In Deutschland wächst ebenfalls die Kritik am TikTok-Algorithmus, weil dieser nicht nur harmlosen Content, sondern auch gefährliche Desinformation und Hass verbreiten kann.
Doch was macht den TikTok-Algorithmus so effektiv und gleichzeitig problematisch? TikTok verfolgt mit seinem Algorithmus das Ziel, den engagierten Konsum von Inhalten zu fördern. Du bist nie nur „ein Zuschauer“, sondern aktiv Teil eines Systems, das ständig auf dein Verhalten reagiert und deinen Feed personalisiert. Engagement ist der Schlüssel – je mehr du mit den Videos interagierst, desto spezifischer werden die Vorschläge. Der Algorithmus lernt ständig dazu und optimiert deine Nutzererfahrung basierend auf jeder Interaktion mit der App.
Wie funktioniert der TikTok-Algorithmus?
Das Geheimnis von TikToks Erfolg liegt im For You Feed (deutsch: „Für dich“-Feed), einem endlosen Strom an Videos, der exakt auf die Vorlieben jedes Nutzers zugeschnitten ist. Im Gegensatz zu klassischen sozialen Netzwerken wie Instagram, wo die Beiträge hauptsächlich von abonnierten Accounts angezeigt werden, basiert TikTok auf einem algorithmischen Empfehlungssystem, das direkt deine Interaktionen analysiert, um dir maßgeschneiderte Inhalte zu liefern. Sobald du die App öffnest, landest du direkt im personalisierten Feed, der auf deinem bisherigen Verhaltenbasiert.
TikTok unterscheidet zwischen dem „Folge ich“-Feed (wo dir die Inhalte von abonnierten Nutzern angezeigt werden) und dem „Für dich“-Feed, der algorithmisch gesteuert wird. Der Algorithmus ist darauf optimiert, dir Contentanzuzeigen, der dir höchstwahrscheinlich gefallen wird und dich dazu bringt, weiterhin mit der App zu interagieren. Der Betreiber ByteDance hält viele Details über die Funktionsweise des Algorithmus geheim, doch es sind mehrere Faktoren bekannt, die den TikTok-Algorithmus beeinflussen:
- Interaktionen: Deine Likes, Kommentare, Shares und vor allem die Watch-Time – also wie lange du ein Video anschaust – sind entscheidende Signale für den Algorithmus. Besonders Videos, die du wiederholt anschaust, erhalten eine höhere Gewichtung.
- Inhalte und Trends: TikTok analysiert, welche Hashtags, Sounds oder Trends du häufig konsumierst und schlägt dir ähnliche Inhalte vor. Diese Analyse hilft dabei, den Content weiter zu personalisieren. Besonders beliebt sind Hashtags, die einen bestimmten Trend oder ein Thema markieren – diese können den Algorithmus erheblich beeinflussen.
- Social Graph: Wen du abonnierst und mit welchen Nutzern du regelmäßig interagierst. Allerdings ist der Social Graph bei TikTok weniger wichtig als bei anderen Plattformen wie Instagram.
- Geräte- und Standortdaten: Informationen wie Gerätetyp, Spracheinstellungen und Standort fließen ebenfalls in den Algorithmus ein, sodass dir lokal relevante Inhalte vorgeschlagen werden.
Am wichtigsten ist jedoch die Watch-Time. Ein Beitrag, den du lange anschaust oder öfter wiederholst, wird als besonders interessant eingestuft und wird anderen Nutzern stärker angezeigt. TikTok selbst betont, dass auch die Anzahl der Likes, Shares, und Follower berücksichtigt wird. Doch entscheidend ist, wie lange du ein Video anschaust und ob du es wiederholst. TikTok erstellt ein detailliertes Profil über dich, basierend auf jedem Klick und jeder Sekunde, die du mit der App verbringst.
TikTok vs. Instagram: Wer geht schneller viral?
Ein zentraler Unterschied zwischen TikTok und Instagram liegt im viralen Potenzial ihrer Algorithmen. Während Instagram Inhalte zunächst vor allem den eigenen Followern zeigt und erst bei positiver Resonanz eine größere Reichweite erzielt, präsentiert TikTok neue Videos direkt im „Für dich“-Feed einer breiten Nutzerbasis. Wenn ein Video dort gut ankommt, kann es innerhalb kürzester Zeit viral gehen – und das selbst bei einem kleinen oder gar keinenbestehenden Followerkreis.
Diese Algorithmus-Strategie fördert die Entdeckung neuer Creator und Inhalte, wodurch TikTok besonders für Neulinge attraktiv ist, die schnell Aufmerksamkeit generieren möchten. Instagram setzt stärker auf bestehende Communities. Dort profitieren vor allem Nutzer mit engagierten Followern. Das sorgt für eine langsamere, aber kontinuierliche Steigerung der Reichweite.
Zusätzlich bietet TikTok eine Vielzahl an Interaktionsmöglichkeiten wie Duette, Stitch und Reaktionen, die das Engagement fördern und die Viralisierung von Inhalten weiter beschleunigen.
Radikalisierung auf Knopfdruck? Die gefährliche Seite des TikTok-Algorithmus
Der TikTok-Algorithmus sorgt dafür, dass Inhalte schnell viral gehen – leider auch solche, die extremistisch oder gefährlich sind. Nutzerinnen können in digitale Rabbit Holes geraten, in denen sich Themen immer weiter zuspitzen. Ein typisches Beispiel ist die Verbreitung von rechtsextremem Content: Die AfD und andere radikale politische Akteure nutzen TikTok gezielt, um junge Menschen anzusprechen. Ein TikTok-Video des AfD-Politikers Maximilian K., in dem er sagt: „Echte Männer sind rechts“, erreichte mehr als 1,4 Millionen Aufrufe. Viele Jugendliche stießen über den For YouFeed auf dieses Video, ohne aktiv danach zu suchen. Der Algorithmus pusht solche Videos, da sie viele Interaktionen (Likes, Kommentare, Shares) erhalten. So gelangen extremistische Inhalte selbst dann in Feeds, wenn die Nutzerinnen nicht aktiv nach ihnen suchen.
Studien haben gezeigt, wie schnell der Algorithmus Nutzer:innen in extremistische Welten führen kann. Forscher der Media Matters-Organisation stellten fest, wer mit problematischen Inhalten interagiert, der hat sein Feed rasch mit antisemitischen, sexistischen und rassistischen Inhalten füllte. TikTok schickte diese Inhalte nach wenigen Interaktionen immer wieder an den Nutzer, sodass dieser sich in einer Echokammer wiederfand. Das führt zu einer Verstärkung von extremistischen Narrativen.
Ein weiteres Beispiel ist, dass Verschwörungstheorien auf TikTok durch den Algorithmus verbreitet werden. Videosüber QAnon, die Flache Erde Theorie oder Covid-Mythen werden automatisch in den Feed von Nutzern eingespielt, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. Die Filterblasen werden immer enger, und die Sicht auf die Welt verengt sich auf eine radikale Perspektive.
Nicht jeder personalisierte Feed ist problematisch – im Gegenteil, oft entdeckt man so unterhaltsamen Content, den man sonst nie gesehen hätte. Doch der TikTok-Algorithmus wird gefährlich, wenn er die psychische Gesundheit der Nutzer beeinträchtigt oder radikale Weltanschauungen verstärkt. Ein zentrales Problem ist dabei die mentale Gesundheit. Eine Studie des Center for Countering Digital Hate (CCDH) ergab, dass TikTok innerhalb von Minuten gefährliche Inhaltezu Suizidgedanken oder Essstörungen zeigte, sobald ein 13-jähriger Test-Account Interesse an Themen wie Body Image zeigte. Schon nach 2,6 Minuten war der Account mit Videos über Selbstmord konfrontiert, innerhalb von acht Minuten folgten Clips über Essstörungen.
Der Algorithmus bietet nicht nur gefährliche Inhalte, sondern verstärkt auch negative Emotionen. Wer anfängt, traurige oder wütende Videos anzuschauen, dem werden genau diese Inhalte immer wieder angezeigt. So entsteht eine Abwärtsspirale, in der der Algorithmus die Stimmung der Nutzer:innen weiter nach unten zieht. Diese Art der emotionalen Manipulation ist eine der gefährlichsten Seiten des TikTok-Algorithmus.
TikTok Algorithmus ändern oder löschen: So geht’s
Hast du das Gefühl, dass dein „Für dich“-Feed (FYP) nicht mehr deinen Interessen entspricht oder dich mit unerwünschten Inhalten konfrontiert? Vielleicht bist du in einer Echokammer gelandet oder möchtest einfach frischen Content entdecken. Der TikTok-Algorithmus hat die Macht, dir immer ähnliche Videos anzuzeigen – aber du kannst auch Einfluss darauf nehmen.
TikTok Algorithmus ändern: Deinen Feed anpassen
Wenn du den TikTok-Algorithmus nicht komplett zurücksetzen möchtest, kannst du deinen Feed gezielt ändern. Dies ist eine großartige Möglichkeit, deinen For You Feed neu auszurichten und den Content zu steuern, ohne den gesamten Verlauf zu löschen.
Tipps, um deinen Feed zu ändern:
- Interaktionen diversifizieren: Like, kommentiere und teile Videos aus verschiedenen Themenbereichen. So signalisierst du dem Algorithmus neue Interessen und beeinflusst, welche Videos dir angezeigt werden.
- Neuen Accounts folgen: Entdecke Creator, die Inhalte außerhalb deiner gewohnten Themen produzieren, und folge ihnen, um deinen Feed abwechslungsreicher zu gestalten.
- Uninteressante Inhalte markieren: Wenn dir ein Video nicht gefällt, halte es gedrückt und wähle „Nicht interessiert“. Dadurch wird der Algorithmus ähnliche Inhalte weniger häufig anzeigen.
- Hashtags und Suchfunktionen nutzen: Suche aktiv nach neuen Themen und Hashtags, um deinem Feed mehr Vielfalt zu verleihen.
- Spracheinstellungen anpassen: Ändere deine bevorzugte Sprache in den Einstellungen, um Inhalte aus anderen Regionen oder Kulturen zu entdecken.
Diese Maßnahmen helfen dir, deinen Feed kontinuierlich nach deinen aktuellen Vorlieben zu steuern und den TikTok-Algorithmus auf deine Interessen auszurichten.
TikTok Algorithmus löschen: Feed zurücksetzen
Falls du das Gefühl hast, in einer Echokammer gefangen zu sein oder du die bisherigen Inhalte nicht mehr sehen möchtest, kannst du den TikTok-Algorithmus löschen und deinen Feed von Grund auf neu starten. Dieser Schritt entfernt alle bisherigen Interaktionen und lässt den Algorithmus mit deinen neuen Aktivitäten von vorne beginnen.
Um den Algorithmus zurückzusetzen, musst du einfach in den Einstellungen die Option „Für dich-Feed aktualisieren“ wählen. So wird dein Feed „neu“ gestartet, und der Algorithmus lernt mit jeder neuen Interaktion wieder dazu, basierend auf deinen aktuellen Interessen.
Einfluss nehmen: Wie du den Algorithmus kontrollierst
Bist du dem TikTok-Algorithmus also schutzlos ausgeliefert? Zum Glück nicht. TikTok bietet dir mehrere Funktionen, mit denen du den Algorithmus steuern kannst. Eine besonders hilfreiche Option ist der Reset deines For You Feeds. Diese Funktion ermöglicht es dir, deinen bisherigen Verlauf zu löschen und den Algorithmus neu zu trainieren. So kannst du den Feed von störenden Inhalten befreien und den Content nach deinen Wünschen kuratieren.
Du kannst deinen Feed auch durch gezielte Interaktionen beeinflussen. Liked mehr von den Inhalten, die du sehen möchtest, und scrolle schnell weiter, wenn dir etwas nicht gefällt. Die Funktion „Nicht interessiert“ hilft dabei, solche Inhalte direkt aus deinem Feed zu entfernen. TikTok registriert deine Rückmeldungen und zeigt dir weniger von den Videos, die du als negativ empfindest.
Quellen / Referenzen anzeigen
- https://blog.hootsuite.com/de/tiktok-algorithmus-explained/
- https://billo.app/blog/tiktok-vs-instagram/
- https://buzzoid.com/de/how-to-reset-your-tiktok-algorithm/?utm_source=chatgpt.com
- https://www.highsocial.com/de/resources/how-to-change-your-tiktok-algorithm-enhance-your-experience/?utm_source=chatgpt.com
- https://metricool.com/de/der-tiktok-algorithmus
- https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-tiktok-klage-102.html
- https://digitaleducation.cologne/news/video-plattform-tiktok-algorithmus-empfiehlt-gefährliche-inhalte
- https://www.bpb.de/lernen/bewegtbild-und-politische-bildung/themen-und-hintergruende/lernen-mit-und-ueber-tiktok/523787/funktionsweise-wie-funktioniert-tiktok/
- https://netzpolitik.org/2021/datenjournalismus-tiktoks-algorithmus-draengt-zu-nischeninhalten/
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- https://www.businessinsider.com/transphobia-ted-kaczynski-tiktok-algorithm-right-wing-self-radicalization-2021-11
- https://www.bpb.de/lernen/bewegtbild-und-politische-bildung/themen-und-hintergruende/lernen-mit-und-ueber-tiktok/523787/funktionsweise-wie-funktioniert-tiktok/
- https://techcrunch.com/2023/03/16/tiktoks-new-feature-lets-you-refresh-your-for-you-feed-and-retrain-your-algorithm/