Stell dir vor, du stehst vor der Wahl zwischen zwei Produkten: Eines hat unzählige positive Bewertungen, das andere kaum eine. Hier kommt der Begriff des „social proof“ ins Spiel, der zeigt, wie Menschen durch die Erfahrungen anderer beeinflusst werden. Dieser und weitere Effekte werden in diesem Beitrag aufgedeckt. Sie werden nicht nur in Produktbewertungen genutzt, sondern können auch umgewandelt werden, um das Verbreiten von Falschinformationen zu fördern.
Was ist Social Proof – Wenn alle es glauben, glauben wir es auch
Unser Gehirn sucht nach Orientierung – besonders in unsicheren Situationen. Der sogenannte Social Proof (soziale Bewährtheit) beschreibt unsere Tendenz, das Verhalten oder die Meinung vieler Menschen als Hinweis auf die Richtigkeit einer Information zu deuten. Je mehr Menschen etwas glauben oder verbreiten, desto glaubwürdiger erscheint es uns – ganz unabhängig davon, ob es tatsächlich wahr ist. Studien zeigen: Inhalte mit hoher Interaktion – etwa Likes, Shares oder Kommentaren – werden von vielen automatisch als vertrauenswürdiger eingeschätzt. Das liegt daran, dass unser Gehirn soziale Signale als Entscheidungsgrundlage nutzt, um Zeit und kognitive Energie zu sparen.
Wenn Likes, Kommentare und Viralität zur Wahrheit werden
Beispiel: Ein Facebook-Beitrag mit 3.000 Likes und 500 Kommentaren wird eher geglaubt als einer mit nur 10 Likes – selbst wenn beide exakt den gleichen Inhalt haben. Der Unterschied? Die sichtbare Zustimmung vieler Menschen erzeugt eine Art psychologischen Druck: „So viele können sich doch nicht irren.“ Doch genau das ist der Trugschluss. Jedoch hört die soziale Bewährtheit nicht bei Likes und Kommentaren auf. Auch der Inhalt der Kommentare, die unter einem Beitrag verfasst werden, können einen Einfluss darauf haben, wie der Inhalt selbst interpretiert wird. Polarisierende Kommentare können laut der Studie „The Nasty Effekt“ eine direkte Auswirkung auf die Interpretation des gesamten Inhalts haben. Besonders Fake News profitieren von diesem Effekt. Wenn ein emotional aufgeladener, dramatischer Beitrag in sozialen Netzwerken schnell viral geht, wirkt er durch die vielen Reaktionen glaubwürdiger – obwohl der Inhalt völlig falsch sein kann. Der Social Proof verstärkt die Verbreitung von Fehlinformationen – und sorgt dafür, dass sich Lügen oft schneller verbreiten als Fakten. Künstlich generierte Kommentare, die eine bestimmte Agenda verfolgen, können dem Zuschauer eine bestimmte Denkrichtung nahelegen, die unter Umständen dazu führen kann, dass die Fake-News eher geglaubt werden.
Soziale Bewährtheit stellt einen Teufelskreis dar. Dadurch, dass viele Interaktionen auf einen bestimmten Beitrag existieren, gehen Menschen eher davon aus, der Inhalt sei wahrheitsgetreu. Das wiederrum steigert die Interaktionen, wodurch das Maß an sozialer Bewährtheit weiter ansteigt. Soziale Medien verstärken diesen Effekt weiter: Inhalte, die viele Interaktionen hervorrufen, erscheinen Plattformen wie Google als relevanter und vertrauenswürdiger. Diese Manipulation führt dazu, dass Menschen Informationen unreflektiert aufnehmen und die eigene Urteilsfähigkeit infrage stellen. Dir sollte aufgrund des Social Proof-Effektes bewusst sein, dass die Masse an Interaktionen nicht zwingend Rückschlüsse auf die Qualität und den Wahrheitsgehalt des ursprünglichen Inhalts zulässt.
Der Negativity Bis – Warum schlechte Nachrichten mehr Eindruck machen
Emotionale Inhalte verbreiten sich laut einer Studie des MIT, die von 2006 bis 2017 auf Twitter durchgeführt wurde, sechsmal schneller als sachliche. Warum? Unser Gehirn liebt Drama – evolutionär bedingt. Der sogenannte Negativitätsbias beschreibt unsere Tendenz, negativen Informationen mehr Gewicht zu geben als positiven. Laut Daniel Kahneman und Amos Tversky geben Menschen, negativen Konsequenzen in Situationen doppelt so viel Gewicht wie positiven Konsequenzen. Der Negativity Bias wird von vielen Journalisten benutzt, um mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Mehr Aufmerksamkeit bedeutet vor allem im Kontext des Boulevardjournalismus mehr Klicks und schlussfolgernd mehr Geld. In einer weiteren Studie konnte nachgewiesen werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen online auf eine Schlagzeile klicken, um durchschnittlich 2,3% pro hinzugefügtem negativem Wort steigt. Für Journalisten könnte es schlussfolgernd sogar von Interesse sein, absichtlich negative Schlagzeilen zu wählen.
Beispiel: Eine neue Studie zeigt, dass der Kaffeekonsum leicht mit einem geringeren Risiko für Herz- Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist – allerdings nur in moderaten Mengen. Eine positive Schlagzeile würde lauten: „Studie: Mäßiger Kaffeekonsum kann Herzgesundheit fördern“. Eine negative Schlagzeile würde wiederrum lauten: „Zu viel Kaffee erhöht Risiko für Herzprobleme – das sagt eine neue Studie“
Fake News nutzen diesen Effekt gezielt: Durch dramatische Sprache, Bedrohungsszenarien und Katastrophenbilder provozieren sie den Negativitätsbias – und bleiben hängen. Selbst wenn sie später widerlegt werden, bleibt der emotionale Eindruck der Schlagzeile bestehen. Vor allem bei Leuten, die sich auf sozialen Medien nur die Schlagzeilen durchlesen, ohne tatsächlich auf den Artikel zu klicken.
Was tun gegen die Manipulation?
Wir können uns nicht vollständig immunisieren, aber kritisches Denken ist der beste Impfstoff gegen Fake News. Die beiden Effekte, Social Proof und den Negativity Bias sollte man sich beim Betrachten polarisierender Inhalte in den Medien vor Augen führen. Dazu kann man sich die folgenden neun Fragen stellen:
- Ist es möglich, dass dieser Beitrag absichtlich negativ formuliert wurde?
- Möchte der Schreiber eine bestimmte Reaktion bei mir bewirken?
- Weshalb könnte der Schreiber diese Reaktion bewirken wollen? Möchte er eine Kaufabsicht oder einen Klick auf seinen Beitrag auslösen?
- Klingt der Beitrag zu extrem, um wahr zu sein?
- Wie haben andere Quellen über dasselbe Thema berichtet?
- Gibt es überhaupt Berichte von anderen Quellen zu diesem Thema?
- Bin ich durch die Anzahl an Reaktionen auf den Beitrag beeinflusst?
- Nutzt der Schreiber die reine Anzahl an Zuschauern als scheinbar schlagfertiges Argument zur Unterstützung seiner Aussage?
- Bestärken die Kommentare meine Reaktion oder widersprechen sie meiner ursprünglichen Annahme?
Fazit: Fake News wirken, weil wir Menschen so ticken
Desinformation ist kein technisches Problem – es ist ein menschliches. Unsere psychologischen Mechanismen wie der Negativity Bias, Social Proof und der Wunsch nach einfachen Erklärungen machen uns anfällig. Die Trickkiste an psychologischen Effekten, die in Fake-News benutzt werden, ist groß. Es existieren bisher weit über 100 psychologische Denklücken, die unser Denken beeinflussen und uns manipulierbar machen. Man kann jedoch dagegen ankämpfen, indem man sich selbst über diese Effekte informiert und sie sich möglichst oft vor Augen führt. In diesem Kontext möchten wir unsere Leser dazu motivieren, Informationen insbesondere auf sozialen Medien kritisch zu hinterfragen. Um das besser machen zu können, haben wir einen Beitrag zur Frage „Wie erkenne ich Fake-News?“ geschrieben und empfehlen unseren Lesern, sich diesen genauer durchzulesen.
Quellen / Referenzen anzeigen
- https://onlinemarketing.de/lexikon/definition-social-proof
- https://blog.hubspot.de/marketing/social-proof
- https://www.lpsp.de/blog/10-social-proof-beispiele
- Daniel Kahneman – Schnelles Denken, Langsames Denken
- https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jcc4.12009
- Robert B. Cialdini – Influence
- https://www.lmu.de/de/newsroom/newsuebersicht/news/lmu-studie-negative-vokabeln-sorgen-fuer-hohe-klickzahlen.html
- https://news.mit.edu/2018/study-twitter-false-news-travels-faster-true-stories-0308